ABSCHLUSSARBEITEN,  QUALIFIED TEACHER

fukushin und haikoshin – von Andreas Roupec

Vorwort

Ich bin mit einem Kollegen bei einem Gläschen Wein zusammen gesessen, als wir unvermittelt in einen Disput über die Frage geraten sind, wie denn die „richtige“ HaraEvaluierung (fukushin) erfolgen sollte, beziehungsweise wie wir sie eigentlich unseren Schülern vermitteln. Ich muss gestehen, bis zu diesem Zeitpunkt habe ich die HaraEvaluierung so unterrichtet, wie sie mir in meiner eigenen Ausbildung beigebracht wurde: richtig sitzen, zentrieren, leer werden, berühren, offen sein – nicht mehr und
nicht weniger. Weiter gehende Gedanken habe ich mir nicht gemacht.

Im Zuge der Diskussion wurde nun alles in Frage gestellt: die Haltung, die Einstimmung, die Kontaktaufnahme, was denn Kontakt eigentlich bedeute, die physische Tiefe des Kontakts, die Bedeutung von „Spüren“ usw..

Die erste Euphorie, ein interessantes Thema für meine Arbeit zur Anerkennung als „Qualified Teacher“ gefunden zu haben, wich in den folgenden Wochen, beim Versuch brauchbares Material zu sammeln, der Ernüchterung, dass es zum Thema offenbar enttäuschend wenig schriftliche Unterlagen gibt. Ich habe keine Antwort auf die Frage, warum dies so ist. Zahlreiche Schulen österreich- und sicher auch europaweit lehren „ihre“ Hara-Diagnose, doch bei der Frage nach den Grundlagen dafür wird auf die
überlieferte Tradition verwiesen.

Das hat die Auseinandersetzung mit dem Thema schwierig, aber auch umso interessanter gemacht. Ich hatte zum Beispiel nicht erwartet, dass mich meine „Forschung“ ins früheste Japan führen würde, oder ich endlich die Kyo-Jitsu-Reaktion kennenlernen würde, die in unserer Schule nicht wirklich unterrichtet wird. Der Faden, den ich aufgenommen habe, ist immer länger und verworrener geworden. Zu jedem
Begriff, mit dem ich mich auseinandergesetzt habe, sind neue Begriffe aufgetaucht und noch mehr Fragen und Widersprüche.
Jetzt, nach Abschluss der Arbeit, kann ich Folgendes mit Gewissheit sagen: „Die richtige“ Hara-Evaluierung gibt es nicht. Und: Wir wissen gar nichts!

Aber ich bin unendlich dankbar für die vielen wichtigen Einsichten und Anregungen, die ich bei der Beschäftigung mit diesem Thema gewonnen habe. Sie werden meinen Unterricht bereichern.

Einleitung
Ich denke, wir alle verwenden hin und wieder in einer verkürzten Sprache, aber auch in einem verkürzten Verständnis von dem was wir tun, den Begriff „Diagnose“ (verkürzte Sprache) für einen Prozess, mit dem wir vor einer ShiatsuBehandlung versuchen, „möglichst viele und möglichst relevante Informationen über den Empfänger zu erhalten“ (verkürzte Vorstellung von dem was wir tun), um ihn bestmöglich unterstützen zu können.

Obige Definition dürfte sich in etwa mit dem von der Schulmedizin geschützten Diagnosebegriff decken. Vor wem ist der Begriff Diagnose eigentlich geschützt? Vor uns wild gewordenen Shiatsu-Praktikern? Er muss nicht geschützt zu werden, wir brauchen ihn nicht, denn unsere Vorstellung von einem „Diagnose“-Prozess geht weiter und tiefer.

Setsu-Shin ist eine der vier Diagnosearten aus der traditionellen Kampo-Medizin und bedeutet vereinfacht gesagt Diagnose durch Ertasten. Masunaga hat gemeint, wir sollen den Empfänger dadurch nicht bloß physisch berühren, sondern auch verstehen und sehen. Und damit sind wir bereits viel weiter, als jede schulmedizinische Vorstellung von Diagnose.

Wir verwenden die Worte Hara-Evaluierung, Hara-Betrachtung, Hara-Befundung, oder Ähnliches nicht aus Angst vor Konflikten mit der Ärzteschaft, sondern um die weitergehende Bedeutung dieser Diagnoseart zu unterstreichen. Wenn in dieser Arbeit dennoch der Begriff „Diagnose“ auftaucht, so soll er in diesem Sinne verstanden werden.

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